
KämpferInnen im Großstadt-Dschungel
„Tonga Nzoto“ – Eine neue Offensive gegen HIV / AIDS:
Kinshasa, Hauptstadt der DR Kongo, ist eine Metropole mit rund 12 Mio. EinwohnerInnen. Hier hat HPP-Congo im Oktober 2019 (1) ein neues TCE-Projekt in Angriff genommen. Das Projekt zielt – wie alle TCE-Projekte (2) – darauf ab, HIV-positive Kinder und Erwachsene zu identifizieren, sie zu behandeln und die Viruslast bei jeder infizierten Person zu reduzieren.
(1) In Fortsetzung einer Initiative einer US-amerikanischen Hilfsorganisation
(2) Total Control of the Epidemic
Das Projekt trägt zum globalen Ziel der UNO von 95-95-95 bei: 95% aller HIV-positiven Personen müssen identifiziert werden, 95% aller HIV-positiv identifizierter Personen eine ARV (1)-Behandlung erhalten und 95% der behandelten Personen die Viruslast unterdrückt haben.
Das neue Projekt nennt sich „Tonga Nzoto“, in liNgála so viel wie „Achte auf Deinen Körper!“ Es entspricht den lokalen Erfordernissen und unterscheidet sich insofern von anderen TCE-Projekten:
- Die Prävalenzrate in der DR Kongo ist mit knapp 1,1 % im Vergleich zu anderen Staaten südlich der Sahara – zum Glück! – relativ gering. Deshalb sind sich die Menschen der Bedrohung, die vom HIV-Virus ausgehen, oft nicht bewusst.
- Die Anonymität der Großstadt erschwert die Arbeit des Projekts: Es ist schwer, die Zielgruppen aufzuspüren, schwer, persönliche Gespräche zu führen und Kontakte zu knüpfen … Der COVID-19-Aus-bruch hat diese Situation nicht eben erleichtert.
- Die Gesundheitsversorgung in der DR Kongo ist, wie erwähnt (2), mehr als mangelhaft. Es ist eine der Hauptaufgaben des Projekts, die nationalen Strukturen der Gesundheitsversorgung zu stärken und gleichzeitig auch das Vertrauen der Menschen, die-se in Anspruch zu nehmen.
(1) ARV = antiretroviral
(2) Vgl. „Leben in der DR Kongo 2020“, S. 18
63 Partner-Kliniken im Operationsgebiet
Das Projekt erstreckt sich auf alle 6 Gesundheitszonen der Hauptstadt und hat Kapazität, 1,5 Mio. Menschen zu betreuen. Es arbeitet eng mit den HIV-Abteilungen von 63 Kliniken und Krankenhäusern zusammen, die z. Zt. mehr als 19.000 Menschen behandeln und betreuen. Aufgabe des „Tonga Nzoto“-Projekts ist es u.a., die Verbindungen zwischen Gemeinde / BürgerInnen und Kliniken zu stärken, um gemeinsam die Kontrolle über die Epidemie zu erlangen und HIV-positive Menschen zu versorgen.
Die Kliniken unterscheiden sich stark in Größe, Führung und Ausrichtung. Einige sind Privatkliniken, andere konfessionelle Institutionen, eine geringere Anzahl sind öffentliche Kliniken – wie auch immer: Sie alle tragen zur öffentlichen Gesundheit, einschließlich der Bekämpfung von HIV / AIDS bei.
Unsere Partnerkliniken haben sich mittlerweile mit den Systemen und Routinen der Kooperation vertraut gemacht, schätzen die finanzielle Unterstützung für den Klinikbetrieb und die Zulagen für insgesamt 800 Personen Gesundheitspersonal und Peer-PädagogInnen.
Bis September 2020 hatte das Projekt eine US-amerikanische Universität zum Partner, die auf klinisches und Labormanagement sowie Datenerfassung spezialisiert war. Als diese Zusammenarbeit nach einem Jahr endete, verlangsamte sich das Aktivitätstempo, aber nicht für lange; Ende des Jahres 2020 ist das Projekt voll besetzt und in Bewegung, um alle Ziele zu erreichen.
Die COVID-19-Pandemie störte die tägliche Arbeit der Kliniken zwischen April und August empfindlich: Viele PatientInnen blieben weg, aus Angst, sich mit dem Coro-na-Virus zu infizieren. Anfang Juni führte das Projekt die Strategie ein, trotz COVID-19 so „normal“ wie nur irgend möglich weiterzuarbeiten und gleichzeitig das medizinische Personal (rund 800 MitarbeiterInnen der Partner-Anstalten) und andere Menschen vor einer Infektion zu schützen.
Vier der Krankenhäuser im Projekt bestimmte das Gesundheitsministerium für die Aufnahme von COVID-19-Patien-tInnen. Diesen spendete das Projekt wichtige Geräte und Materialien, damit sie diese ihre Aufgabe besser erfüllen können.
Die Menschen im Projekt – KämpferInnen im Großstadt-Dschungel
Das Projekt beschäftigt 113 MitarbeiterInnen. Sie sind – wie in allen TCE-Projekten – militärisch straff organisiert, um dem „Feind HIV / AIDS“ mit höchstmöglicher Effizienz auf den Leib zu rücken.
Erfolg und Misserfolg eines TCE-Projekts stehen und fallen mit den Field Officers (3). In Kinshasa arbeiten 60 Field Officers, die zu 5 TCE-Trupps organisiert sind. Sie werden stets aus der lokalen Bevölkerung rekrutiert, sprechen die Sprache der Leute, kennen die Gewohnheiten, Lebens-verhältnisse am besten.
(3) AußendienstmitarbeiterInnen
28 der Field Officers haben die Aufgabe, Tests durchzuführen und nachzuverfolgen, während die anderen – „Fall-ManagerInnen“ – sich um PatientInnen in den spezifischen Zielgruppen, etwa Waisen, besonders gefährdete Kinder und Mütter kümmern.
Field Officers sind gute ZuhörerInnen. Sie werden dazu ausgebildet, zu informieren, zu motivieren, die Herzen der Menschen zu berühren – Überzeugungsarbeit zu leisten, anstatt Anweisungen zu geben. Sie lernen, individuelle Risikopläne zu erstellen, unterrichten in gesunder Ernährung und beraten bei der Anlage von Gemüsegärten, verteilen Kondome und führen – wie hier in Kinshasa – Elternkurse für Sexual-aufklärung (4) durch.
Unsere Field Officers hatten es am Anfang nicht leicht, sich im „Groß-stadt-Dschungel“ zurecht zu finden, Personen, die getestet werden mussten, und Nachsorge-PatientInnen aufzufinden. Mittlerweile wurde jedoch eine solide, auf gegenseitigem Vertrauen begründete Zusammenarbeit aufgebaut. Vertraulichkeit ist unbedingt notwendig, da im Kongo eine erhebliche Stigmatisierung HIV-positiver Personen vorliegt.
Der Corps Commander / Chef-Ermittler/ und der Division Comman-der /Projektleiter/ sind zuständig für die Einhaltung der Pläne. Die-se Pläne wurden 2020 vierteljährlich angepasst. Im Team arbeiten ferner 4 Direktoren – für Finanzen, Gemeindeaktivitäten, klinische Dienstleistungen sowie Monitoring + Evaluierung –, Fachleute für psychosoziale Betreuung, Zielgruppen-Bevölkerung sowie für Waisen und gefährdete Kinder (Spezialeinheiten), Trainer für Finanzwissen und Einkommensgenerierung, 2 Labor-Verantwortliche, 1 Pharmazeut, 12 „Verbindungsoffiziere“ zu den Kliniken sowie administratives Personal.
Und das wurde 2020 erreicht
6.770 HIV-positive Personen wurden identifiziert und behandelt.
Dies ist wohl eines der wichtigsten Ergebnisse des Projekts. Zwar wurden nur 70 % des Plans erreicht5, doch liegt das Resultat erheblich über dem von 2019, was besagt, dass sich vieles in den Gesundheits-einrichtungen zum Besseren verändert hat.
(4) S. „Leben in Veränderung – Familienangelegenheiten“, S. 23
(5) Unter COVID-19-Bedingungen
Das Projekt arbeitet nach dem Index-Testing-Prinzip, das vor einigen Jahren auf Wunsch des CDC (6) in Namibia eingeführt wurde: Kontaktiert werden jene Menschen, die der Infektionsgefahr besonders ausgesetzt sind: PartnerInnen und Angehörige HIV-positiver Personen, HIV-positive Schwangere, SexarbeiterInnen u.a. Diese Methode ist effizienter als die früheren Haus-zu-Haus-Besuche und sichert eine höhere Aufdeckungsquote. (7)
Die Verbindungsoffiziere haben die Kliniken dabei unterstützt, sicher-zustellen, dass alle neu entdeckten, HIV-positiven Personen behandelt werden.8 Im ersten Projektjahr haben rund 96% aller neuen HIV-positiven Menschen die kostenlose ARV9-Behandlung begonnen. Ein beachtlicher Erfolg!
Eine Kampfansage an TBC
Alle mit TBC diagnostizierten Personen müssen lt. Erlass des Gesundheitsministeriums auf HIV getestet werden. Wenn sie HIV-positiv sind, beginnen sie die TBC-Behandlung sofort, die ARV-Behandlung setzt nach 2 Wochen ein. Umgekehrt werden alle HIV-positiven Menschen auf TBC untersucht, wenn sie zur Untersuchung, zum Virus-last-Kontrolltest und zum Ausfassen der Medikamente in die Kliniken kommen. Im Fall eines positiven Testergebnisses beginnt die TBC-Be-handlung. (10)
Besondere Fürsorge für schwangere Frauen …
Laut nationalem HIV-Programm sind HIV-Tests für alle schwangeren Frauen obligatorisch. Die meisten der 63 Kliniken und Krankenhäuser des Projekts haben einen Mutterbetreuungsdienst eingerichtet.
Die Verbindungsoffiziere haben sicherzustellen, dass HIV-positive Schwangere beraten und in das PMTCT- Programm (11) aufgenommen werden.
(6) Center for Disease Control, eine Institution der US-Regierung
(7) „IndexpatientInnen“ werden motiviert, ihre PartnerInnen zu einem freiwilligen Test zu veranlassen. Im Falle des Einverständnisses wird die Person – falls HIV-positiv – der entsprechenden Behandlung zugeführt. – Im Mai führte das Projekt eine Auffrischungs-schulung in „Index-Testing“ sowohl für Field Officers, als auch Klinikpersonal durch, um Verständnis und korrekte Kenntnis der Verfahren für die Durchführung zu vertiefen.
(8) Nach 6 Monaten Behandlung muss ein Viruslasttest durchgeführt werden, um festzustellen, dass die Viruslast tatsächlich unterdrückt ist. Wenn dies nicht der Fall ist, muss die Klinik die Ursache ermitteln und eine Lösung finden, die medizinisch, aber auch sozial sein kann. Die Verbindungsoffiziere sind dafür zuständig, HIV-PatientInnen, die die Behandlung nicht einhalten, zu kontaktieren.
(9) Antiretrovirale Behandlung zur Stärkung des Immunsystems HIV-Infizierter
(10) Das Ziel wurde zu 156 % erreicht. Die KollegInnen in Kinshasa meinen, sie hätten in der Planung wohl den Bedarf unterschätzt.
(11) PMTCT = Prevention of Mother to Child Transmission = Prävention der Mutter-zu-Kind-Übertragung
… sowie Waisen und schutzbedürftige Kinder (unter 18 Jahren)
Sie werden den Gesundheitseinrichtungen gemeldet. 2020 wurden 5.843 Kinder in das OVC12-Programm aufgenommen. Die rund 1.600 HIV-positiven Kinder13 werden von den Gesundheitseinrichtungen des Projekts behandelt.
900 Eltern haben an den Schulungsprogrammen des Projekts zur Stärkung der Familie teilgenommen. ARV-Medikamente sind für Kinder schwer zu schlucken, wenn sie nicht von entsprechenden Nahrungsmitteln begleitet werden. Viele Familien sind jedoch zu arm, um ihren Kindern diese Nahrung zu bieten. Zweck der Kurse ist es, diese Eltern in Finanzangelegenheiten zu schulen, sodass sie ihren Kindern die Versorgung mit gesundem Essen anbieten können.
Betreuung der „Schlüsselpopulationen“
„Schlüsselpopulationen“ (14) nennen wir Gruppen von Menschen mit hoher HIV-Prävalenz, die die Hauptantreiber der HIV-Epidemien sind. Die Field Officers und eine Spezialeinheit des Projekts arbeiteten mit 3 KP-Zentren zusammen, die Präventionsdienste, Kondome und Gleitmittel sowie Medikamente zur Behandlung sexuell übertragbarer Krankheiten bereitstellen.
86% der HIV-positiven Personen haben unterdrückte Viruslast
Das Projekt unterstützt die 63 Gesundheitseinrichtungen bei der Durchführung der jährlichen Viruslast-Tests ihrer PatientInnen und transportiert die Blutproben zu drei Labors, die dafür eingerichtet sind. Das Ergebnis bekommt man in 1–2 Wochen. Bis jetzt unterdrücken etwa 86% der HIV-positiven PatientInnen in Behandlung ihre Viruslast. „Unterdrückte Viruslast“ bedeutet, dass diese/r PatientIn nicht mehr ansteckend ist. (15)
Das Projekt läuft 5 Jahre bis 30. September 2024. Unsere Hochachtung gilt den KollegInnen in Kinshasa, die sich von COVID-19 nicht unterkriegen lassen und diese Resultate erzielten! Ihr „Danke!“ an HUMANA Österreich ist uns eine besondere Freude! Wir geben es gerne an Sie weiter.
/Aus dem Jahresbericht 2020 des Projekts an HUMANA Österreich/
(12) OVC = orphans and vulnerable children = Waisen und verletzliche Kinder
(13) Unter den 5.843
(14) Key population /KP/
(15) Wenn die Viruslast nicht unterdrückt ist, kann dies verschiedene Ursachen haben. Die vorrangigste ist jedoch die Armut: Manche Patien-tInnen haben keinen festen Wohnort, „vergessen“ auf die Einnahme der Medikamente. Andere haben nicht genug zu essen; das schwächt das Immunsystem und ist hinderlich bei der Medikamenteneinnahme. Die Verbindungsoffiziere und das Klinikpersonal müssen in diesen Fällen mit vereinten Kräften die eigentliche Ursache herausfinden. Ein weiterer Test ist dann in 3 Monaten vorgesehen.